Deskhistence

 

2006-2016

Globale Studie über das Speichermedium Schultisch

Medien: Transportmittel, E-Mail, handgeschöpftes Papier, Radierpresse, Schultischplatten, Stichtiefdruckfarbe
Reliefs: 618 Drucke aus fünf Kontinenten, Dimensionen abhängig von der Tischplatte des Schultisches

Projektbeschreibung von Andreas Schalhorn, 2016

Idee

Das Projekt DeskXistence, das seit 2007/2008 bis 2016 in mehreren Teilprojekten realisiert wurde, erweist sich als global angelegte Untersuchung zum klassischen Schultisch als einem sozialen wie ästhetischen Speichermedium ganz besonderer Art. Entsprechend dem von ihm erfundenen, vieldeutigen Begriff DeskXistence verkörpert das Projekt eine besondere Form der Soziographik, also einer Kunst, die Mensch und Gesellschaft in ihre Form integriert.

Prozess

Im Hinblick auf Druck- und Ausstellungsprojekte in Sao Paolo (2008) und New York (2009) bezeichnete der Künstler die von ihm erstellten, oftmals großformatigen farbigen Tiefdrucke auch als “Scholarglyphs”. Indem er bereits benutzte Schultische als Druckstöcke verwendet, operiert er zugleich, wie in vielen seiner Projekte, mit dem Mittel des Readymade. Denn die eigentliche, quasi “druckreife” Bearbeitung des Druckstocks erfolgte - keineswegs zwangsläufig mit künstlerischer Intention - ja vorab durch Schüler*innen auf der ganzen Welt durch Benutzung der Tische im alltäglichen Gebrauch. Der künstlerische Eingriff beginnt mit der Auswahl und Ausleihe der Tische für den Druckprozess vor Ort. Egal aber, ob in Brasilien, dem Libanon oder in China: Schülerinnen und Schüler beschädigen oder verzieren (je nach Standpunkt) die oftmals bei neueren Modellen mit einer Beschichtung versehenen hölzernen Tischplatten - Frust, Langeweile und Übermut dürften ihren Teil dazu beitragen - mit Kratzern und Ritzungen. Diese bilden zeichenhafte Markierungen. Wie die Drucke zu Deskxistence belegen, sind die eigentlichen „Bearbeitungen“ der Tischplatte durch die Schüler*innen im Verhältnis zu ihrer Fläche oftmals gar nicht so groß. Dies verleiht ihnen bisweilen den Charakter von aus dem Nichts auftauchenden geheimnisvollen Chiffren. 2 Interessanterweise fand sich überall auf der Welt, also in jedem Entstehungskontext, eine Druckerpresse. Gelegentlich war sie irgendwo im Keller einer Kunstschule abgestellt oder ein Jahr zuvor neu angeschafft worden. Auf diese Weise konnten die Drucke tatsächlich jeweils vor Ort entstehen – in Abhängigkeit von den konkreten Bedingungen und damit auch mit einer ganz eigenen Farbigkeit bzw. Farbpalette.

Resultat

Mit dem Abdruck der Tische und damit der ihnen eingeschriebenen Spuren durch den Künstler verbunden ist die Wahl bestimmter Farben, welche in die Vertiefungen eingewalzt werden. Aber auch an den Rändern bzw. in der Fläche (echoartig) werden sie als dezenter Plattenton erkennbar. Hier beginnt, wenn man so will, die interpretatorische Leistung, der vollzogene Transfer der ausgewählten Tische in Bilder, die eine Farbigkeit aufweisen, welche die der Tische und ihre Zeichen und Lineamente keineswegs imitiert, sondern neu akzentuiert.
Dabei können pro Schultisch/Druck mehrere Farben verwendet werden: So kann ein Tisch mehrfach, in unterschiedlichen, sich überlagernden Farben allerdings nur einmal, also in einem Druckvorgang auf das Papier gesetzt werden. Die feinen Linien würden schon beim kleinsten Schrumpfen des trocknenden Papiers nichtmehr in Deckung kommen. Dabei entstehen von jeder Tischplatte nur zwei Exemplare bzw. Unikate in unterschiedlicher Farbsetzung. So gewinnen die Ritzungen und Zeichen der anonym bleibenden Schülerinnen und Schüler eine ganz neue Sichtbarkeit und Existenz - oder eben DeskXistence.

Andreas Schalhorn studierte Kunstgeschichte, Geschichte und Philosophie in Regensburg und Bonn. Magisterarbeit über Joseph Beuys' Das Ende des 20. Jahrhunderts und Promotion über religiöse Historienmalerei des 18. Nach Stationen an der Staatsgalerie Stuttgart und am ZKM Karlsruhe ist er seit 2003 Kurator am Kupferstichkabinett der Staatlichen Museen zu Berlin.