Preußen schwarz-weiss

„In meiner Frottage wird der Pfosten von seiner irdischen Last befreit.“ Zur Symbolik der Gründungspfähle von Schloss und Palast der Republik

Ein Gespräch zwischen Ottjörg A.C. und Christine Nippe

Christine Nippe: Welche Relevanz hat die Druckgraphik in Deinem künstlerischen Werk? Und warum hast Du auch im Falle der Gründungspfähle des Schlosses/Palastes der Republik diese Technik gewählt?

Ottjörg A.C.: Vielleicht muss ich erst einmal zu meinem Verhältnis Malerei/Bildhauerei abschweifen. Ich wurde mit einer Mappe voller Malerei und Zeichnungen an der damals noch HdK genannten Hochschule im Berlin aufgenommen. Ich habe während der Grundklasse sehr, sehr positive Reaktionen für meine Malerei vom Lehrkörper bekommen. Die Sensibilität der Farben, wie sie z.B. im Astwerk durch die leichten Veränderungen in den Rottönen den Frühling ankündigen, begeistert mich jedes Jahr aufs neue. Allerdings hat mich die Vorstellung: „der Künstler in seinem Atelier mit seiner Staffelei und Leinwand“, wie sie ja Picasso so schön dargestellt hat, eher abgeschreckt als angezogen. So bin ich nach der Grundklasse in Erwartung einer größeren Vielfalt an Materie und mehr zwischenmenschlichen Interaktionen in die Bildhauerei gewechselt.

Es war auch aus anderen Gründen folgerichtig:
Meine ersten 11 Jahre habe in einem Bruchsteinhaus, das 1693 erbaut worden war und das diverse Nebengelasse hatte, verbracht. Das Haus wurde Stück für Stück renoviert und hat sich entsprechend verändert. Besonders eindrucksvoll war für mich, als der Dachstuhl abgerissen und neu gesetzt wurde. Die Zimmerleute haben mir aus den Balkenresten auf der Bandsäge Bootsrümpfe geschnitten, die ich auf dem nahe gelegenen Bach schwimmen ließ.
Ich hatte nach dem Abitur in Erwartung einer schwierigen ökonomischen Zukunft als Künstler eine Schreinerlehre gemacht. Ich habe also eine solide handwerkliche Grundlage. Diese hatte allerdings verhindert, dass ich tagsüber als Schreiner arbeite und abends diese Denkstrukturen einfach abschalte und keine Schränke, sondern Skulpturen gestalte. So flexibel ist das Gehirn leider nicht. Also habe ich gemalt.
Als Kind hatte mich mein Vater in den Ferien nicht selten in 3 oder 4 Kirchen, Basiliken, Krypten, in irgendwelche Schlösser, Burgen, Amphitheater und ähnliches geschleppt. Ich bin überzeugt, dass mir dies ein sehr klares und intensives Gefühl für Raum gegeben hat.

In der Folge sind einige ortsspezifische, installative Arbeiten entstanden. Eine für mich selbst sehr interessante und wegweisende war 1995 „Betoner Barock“ im Bett der Wien im Wiener Stadtpark. Dieser Ort, der beim Film „der dritte Mann“ mit Orson Welles 1949 einen wichtigen Schauplatz abgegeben hatte, wurde hier erstmals für eine Kunstinstallation genutzt. Hierzu gibt es einen Katalog mit u.a. einem sehr guten Text von Peter Gorsen.
Ich hatte im Bett der Wien Einkaufswagen Untergestelle moniert, an denen sich bei starkem Regen Schwebestoffe, die der Fluss anschwemmte, verfingen und so sich aus diesem authentischen Material (Äste, Plastiktüten, Toilettenpapier, Präservative...) die Skulpturen vervollständigten. Es ging mir also damals bereits um „the real staff“ in einer sich digitalisierenden Welt.

Während meines Studiums bei Hrdlicka kam mir sehr entgegen, dass er ein passionierter Radierer war. Als ihm in Berlin gekündigt wurde und er an die Hochschule für Angewandte Kunst nach Wien ging, studierte ich dort bei ihm weiter.In der Zeit – um 1990 – dachten die Hochschulen eher darüber nach, die analogen Druckwerkstätten abzuwickeln, als Studenten zu diesen Techniken zu motivieren. So hatte ich einen Schlüssel zur Radierwerkstatt der Hochschule für angewandte Kunst in Wien und konnte oft gänzlich alleine auch an Wochenenden und in den Ferien dort arbeiten. Das hatte eine gewisse Attraktion, so dass sich die Werkstatt nach und nach mit weiteren Studenten füllte. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die „Drucker“ viel kommunikativer und sich gegenseitig unterstützender sind als die Maler. Das war besonders bei meinem Projekt Deskxistence (siehe Seite ??) ein großartiges Erlebnis.

Christine Nippe: Das ist sehr interessant, die Radierplatten skulptural zu denken. Warum ist der Gedanke der Vervielfältigung wichtig in Deinem Werk?

Ottjörg A.C.: Die Vervielfältigung spielt in meiner Druckgrafik nicht auf der primären Ebene sondern auf der Metaebene eine wichtige Rolle. Während meines Studiums haben mich sowohl Rolf Szymanski als auch Alfred Hrdlicka immer wieder auf die Notwendigkeit der Vervielfältigung als wichtiges ökonomisches Mittel hingewiesen. Aber das hat mich nie wirklich interessiert. Ich glaube, das letzte Mal, dass ich etwas als Auflage konzipiert habe, liegt ca. 20 Jahre zurück. Es war das Projekt „Existentmale, U-Bahnscheiben werden zu Druckgrafik“,. (Siehe Seite ???)
Gut, ich habe 2017 in Porto Alegre und 2018 in Leipzig an der Ausstellung „die Macht der Vervielfältigung“ mit Monotypien teilgenommen, habe aber im Hintergrund nicht unwesentlich an der Projektentwicklung mitgewirkt. Ich glaube, die Multiplikation kann tatsächlich eine große Macht und Suggesstion entwickeln. In der Zeit Dürers war es der Kupferstich und der Holzdruck wie man seinem Bild vom Nashorn, das reine Vorstellung war, sehen kann. In dieser Zeit waren die aus der Druckgrafik stammenden Möglichkeiten für die Reformation und den Bauernkrieg wohl nicht zu übergehen. Auch wurde das Bild Südamerikas durch die Druckgrafik in Europa nachhaltig geprägt.
Aber ich glaube schon bei der russischen Revolution hatte der Film die wichtigere Rolle.
Also ist die traditionelle Druckgrafik vom Zwang der Vervielfältigung befreit. Sie behält das Moment des Seriellen. Für mich als Künstler ist es uninteressant, wie hoch die Auflage einer bestimmten Radierung von Rembrandt ist. Interessant sind die unterschiedlichen Zustände der gleichen Platte.
Folglich habe ich bei meinem Projekt „Deskxistence“, bei dem ich die Schultischplatten ohne Veränderung der Struktur und der Einschreibungen gedruckt habe, keine Auflagen gedruckt, sondern jeweils zwei Drucke in unterschiedlichen Farben angefertigt, um eine unterschiedliche Sensation zu erreichen. Auf die Frage, vor allem in China, warum ich die Tischplatten nicht gescannt und dann geplottet habe, ist meine Antwort, dass dabei der direkte Kontakt von Tischplatte und Papier verloren geht. Es wird zu einer Datenmenge aus Nullen und Einsen, die beliebig manipulierbar wird, und an anderer Stelle wieder ein visuelles Interface bildet. Wir sehen dies besonders gut bei der Entwicklung der digitalen Fotografie. Das Programm in der Kamera entwickelt ein Bild so, wie der Programmierer glaubt, dass es sich die Mehrheit der Konsumenten wünscht, z.B. eine übertriebenene Bildschärfe, Aufhellen dunkler Bildpartien etc.
Natürlich greife auch ich, wenn ich drucke, in das Bild ein, indem ich die Farbe wähle. Das ist aber ein bewusster Akt, der in der Gestaltung während des Prozesses des einzelnen Bildes gesetzt wird und nicht in einer angenommenen Konsumenten Erwartung.
Das Bild, der Druck behält den „Körper“. Die Displayoberflächen der digitalen Geräte sind in den meisten Fällen als „touch screen“ oder glattes Zeichenpad ausgelegt. Sie haben immer die gleiche Haptik, egal welche Anwendung gerade genutzt wird. Sie sind spiegelglatt und für den ersten Moment schmeichelnd, aber auf Dauer stinklangweilig.
Für mich stellt sich die Frage, was wird passieren, wenn die Schultische aus den Klassenräumen verschwinden und durch Screens ersetzt werden? Wird in die Glasscheiben gekratzt werden?
Als ich mich bei meinem Gastsemester in St. Petersburg mit Steinlithografie beschäftigte, war die Oberfläche und das Korn das, was mich am meisten interessierte.
In den siebziger und achziger Jahren gab es eine große Auswahl an handgetöpfertem Geschirr. Die Tassen fühlten sich unterschiedlich an. Heute ist nahezu alles von gleicher Haptik, glasiertes Porzellan, mal dicker mal dünner. Ein Stück Holz in der Hand zu haben, ein schweres, ein leichtes, ein grobporiges, ein feinporiges, ein scharfkantiges, ein rundgeschliffenes, sind das nicht Dinge, die das Leben bereichern?
Warum versuchen sich Menschen durch das Einritzen ihres Namens in der Chinesischen Mauer festzukrallen, wenn es nur auf das Foto bei Instagram ankäme?
Ich mache mit den Pfosten das Inverse. Ich lasse die Pfosten sich in einer chinesischen Seide einschreiben. Sie schreiben eine Authentizität, indem sie nicht nur ihre Oberflächenstruktur, sondern auch kleine Reste ihrer Selbst (Holzstückchen, die auf Grund der Jahrhunderte im Wasser ihre feste Verbundenheit mit dem gesunden Holz verloren haben, fließend werden) auf der Seide hinterlassen.

Christine Nippe: Warum verwendest Du Blut, ein sehr archaisches Mittel, für die Herstellung der Drucke mit den Pfählen?

Ottjörg A.C.: Blut konnotiert Leben und Tod. Dass es zu der Gründung des Stadtschlosses auf diesen Pfählen kam, war ein Resultat des Einsturzes eines Turmes auf der alten Münze 1706, geschuldet mangelhafter Gründung auf dem sandigen und torfigen Boden Berlins durch Andreas Schlüter. Graf Otto von Bismarck stellte 1863 vor dem preußischen Landtag fest, dass die Versammlung in Frankfurt 1848 die deutsche Vereinigung nicht zu Stande gebracht hätte, da in der Paulskirche zu viel geredet wurde; die großen Entscheidungen der Geschichte würden durch Blut und Eisen getroffen. Ab 1871 wurde das Schloss des preußischen Königs zum Schloss des Deutschen Kaisers. Auch wenn eine für deutsche Verhältnisse lange Friedensphase folgte, war die Zeit des deutschen Imperialismus und Kolonialismus mit ihren Genoziden eine, in der anderswo viel Blut vergossen wurde. Den Endpunkt der Herrschaft des letzten deutschen Kaisers setzt ein grausamer und blutiger Weltkrieg.
Damit war die Geschichte nicht zu Ende. Karl Liebknecht der vom Balkon des Schlosses die Republik verkündet hatte, wurde mit Wissen des Sozialdemokraten Noske erschossen, dem gleichen Noske, der in der Lindenstraße, wo sich heute mein Atelier befindet, die Arbeiter zusammenschießen ließ.
Also ich glaube es gibt genug Gründe Blut zu benutzen.
Es ist für mich auch eine Metaphorik, denn es kann keine staatliche Struktur geben ohne Gewalt. Gleichzeitig kann nur eine Zivilisation ein Zusammenleben und die Ernährung einer großen Anzahl von Menschen gewährleisten und sie organisieren. Auch das bedeutet Leben und Tod. Ich bin kein Romantiker, der die Schönheit mit dem Tod in eine enge Verbindung bringt, aber das was wir als Kunst ansehen, ist nur in einer Zivilisation denkbar.

Christine Nippe: Welche symbolische Bedeutung haben die Pfähle des Schlosses bzw. des Palast der Republik in Deinem Werk?

Ottjörg A.C.: Was für mich ein interessanter Moment an den Pfosten ist, ist, dass sie in die Erde getrieben wurden, um eine solide Basis für ein aristokratisches Schloss zu bilden. Im gleichen Jahr stieß Diesbach, ein Berliner Alchemist, zufällig auf das weltweit erste synthetische Pigment des Berliner Blaus. Es ist eine Synthese aus Blutlaugensalzen und Eisenionen. Dies Blau war einer der Grundpfeiler der sich entwickelnden chemischen „Industrie“ in Berlin. In dem Moment, in dem sich der Kurfürst zum König macht, beginnt die Entwicklung der Industrie, also des Bürgertums, und der Arbeiterschaft, die zusammen schließlich der Aristokratie den Todesstoß versetzen. In dem Moment, in dem sich die DDR als Arbeiter und Bauernstaat gründet, rationalisiert sich die Landwirtschaft bereits. Es waren noch ca. 30% der Bevölkerung bei der Gründung der DDR in der Landwirtschaft beschäftigt, beim Fall der Mauer waren es in der BRD keine 4% der Bevölkerung mehr und heute sind es noch 1,2% . Mit den wenigen Bauern ist kein Staat mehr zu machen. Auch bei den Arbeitern sind die Zahlen der Beschäftigung rückläufig: von knapp 50% Mitte der sechziger Jahre auf heute knapp 15% .

 

Christine Nippe: Das Ergebnis sind sehr ästhetische und zart daher kommende Maserungen des Holzes, beinahe wie Landschaften. Warum verwandeltst Du die "schweren Pfähle" in "leichte, zarte Drucke"?

Ottjörg A.C.: Die Pfähle haben ihre Funktion als tragende Basis, als Säulen verloren. Man könnte sagen sie haben ihr Ende gefunden. Das Holz als massives Element ist „verbraucht“, „gestorben“ und viele der Pfähle sind als Parkett verarbeitet worden. Der Boden wird als geschichtsträchtiges Parkett beworben. An dieser Stelle möchte ich einfügen, dass ich die Präsentation eines solchen Pfostens in der James Simon Gallery des Humboldt Forums für holzkonservatorisch hochwertig halte, ansonsten ein belangloser, langer Kiefernstamm, einem Telegrafenmast ähnlich. --
In meiner Frottage wird der Pfosten von seiner irdischen Last befreit. Er wird nicht zum „schnöden Holzkopf“. Er gibt den Gedanken eine schwebende Leichtigkeit in Raum und Zeit und bindet sie an die reale Geschichte, die sich in Raum und Zeit abgespielt hat, während der Pfosten im Schlamm feststeckte.